Katholisch-Apostolische Kirche

Klick auf den Kompass öffnet den Index(griech. katholikos = allumfassend, apostolos = Apostel) oder Irvingianer (nach Edward Irving; s.u.):

Aus einer Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert hervorgegangene Kirchengründung mit der Betonung von "Geistesgaben" und der Ernennung neuer "Apostel". Aus einer Abspaltung (Geyerianer) aus der Katholisch-Apostolische Kirche ist die Neuapostolische Kirche hervorgegangen. Die Katholisch-Apostolische Kirche möchte allerdings mit der von ihr als Sekte gesehenen Neuapostolischen Kirche nicht in Verbindung gebracht werden.

1. Erweckung in England, Schottland und Deutschland

Worum handelt es sich bei der Katholisch-Apostolische Kirche? Ihre Geschichte begann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Hervortreten vergessener Charismata (Gnadengaben, Geistesgaben). 1820/21 gab ein Geistlicher der anglikanischen Kirche zwei Schriften heraus, die zu Gebetsversammlungen an einem bestimmten Tag der Woche für eine besondere Ausgießung des Heiligen Geistes aufriefen. Man erstrebte also eine Art "charismatische Erneuerung". Der Verfasser hieß James Haldane Stewart (1776-1854), und seine Schriften waren wohl die Auslöser für viele der nachfolgenden Ereignisse. Die erste Schrift trug den Titel "Hints for a general union for prayer for the outpouring of the Holy Ghost" ("Hilfeleistungen für eine Generalvereinigung zum Gebet für das Ausschütten des Heiligen Geistes"). 1820 veröffentlicht, erreichte diese Schrift in vier Jahren in England, Schottland und Irland 322.000 Exemplare Auflage. Die weitere Schrift von ihm "Thoughts on the Importance of special Prayer for the general outpouring of the Holy Ghost" ("Gedanken über die Bedeutung des speziellen Gebetes für die allgemeine Ausschüttung des Heiligen Geistes") erschien erstmals 1821 mit einer etwas geringeren Auflage von 89.000 Exemplaren in den Folgejahren. Viele Menschen haben diese Schriften gelesen und wurden dadurch zu Gebetsversammlungen veranlasst, um eine neue Ausschüttung des Heiligen Geistes und der Geistesgaben zu erbitten. Diese Gebete wurden sehr bald erhört. Bereits in den Zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts kam es an drei Hauptschauplätzen zu "Geistesaufbrüchen", und zwar mit den Gaben der Prophetie, Weissagung, Glossolalie (Zungenreden) und Krankenheilung. Der erste Hauptschauplatz war seit 1828 die kleine römisch-katholische Gemeinde Karlshuld auf dem Donaumoos in Bayern/Deutschland. Der zweite lag seit 1830 im westlichen Schottland, im Kreis reformierter Christen, der dritte in London ab 1831, wo häusliche Gebetsversammlungen in anglikanischen Kreisen stattfanden.

Diese drei Wurzeln:
Karlshuld, Schottland und England mit Sitz in und bei London sind nachfolgend näher zu betrachten.

Was geschah zunächst in Karlshuld? Dort lebte der junge römisch-katholische Priester Johann Lutz. Dieser hatte ein starkes Erlebnis: Von seinen Sünden überwältigt und nahe am Abgrund der Verzweiflung, hatte er jahrelang mit Fasten, Beten und Wachen nach den Regeln der katholischen Kirche versucht, Licht und Trost zu finden. Aber es war alles umsonst gewesen, bis schließlich übernatürliche charismatische Phänomene (Zungenreden, Weissagung) in seiner Gemeinde auftraten. Es ist unwahrscheinlich, dass der Anstoß hierzu von England und Schottland kam. Wahrscheinlich wurde Lutz unabhängig davon mit den Geistesgaben konfrontiert. Man vermutet, dass es auch in Deutschland Parallelen in diese Richtung gab, unabhängig von den englischen Schriften Stewarts. Jedenfalls beteten immer mehr Menschen, von Lutz` Predigt angeregt, um diese besonderen Glaubenserfahrungen und Geistesausgießungen. 1828 wurden von verschiedenen Einzelpersonen Worte geäußert, die als "Worte der Weissagung" gedeutet wurden. Lutz glaubte daran, dass dies alles von Gott komme, nicht vom Teufel, und dass dies eine Wiederbelebung der urchristlichen Gaben des Geistes sei. In diesen Gesichten und Weissagungen wurde verlautbart, dass Gottes Gericht nahe sein, dass Christus bald kommen würde und dass er Botschafter schicken wolle.

"Der Herr sagte: 'Ich will Propheten und Apostel zu ihnen senden...'"

Diese Worte wurden oft wiederholt und hinterließen einen tiefen Eindruck auf Lutz und verschiedene Gemeindeglieder. Lutz kam erst 1842 durch den schottischen "Propheten" William Caird in persönlichen Kontakt mit den englischen Kreisen und wurde 1859 – nach seiner Exkommunikation aus der Römisch-Katholischen Kirche – zu einem Engel (Bischof) der Katholisch-Apostolische Kirche geweiht.

Die anderen "Aufbrüche" fanden in Schottland und England statt. Über den schottischen Aufbruch heisst es in der "Geschichte der Neuapostolischen Kirche" (S. 16):

"Ein einfacher Zimmermann in Schottland, Jakob Grubb, war es, durch den Gott sprach ..."

Durch seine Handauflegungen und Inspirationen kamen andere mit diesem Geist in Berührung. Jakob Grubb

"sprach vom Kommen des Herrn, und davon, dass er vorher noch eine besondere Arbeit in seiner Kirche verrichten wolle".

Er sprach

"von einem scheinenden Licht, das sie erleuchten würde, von einer Wolke, die wie eine Menschenhand aussähe und die anwachsen solle, um alles zu bedecken."

Nicht weit von der Hütte Grubbs entfernt lebte die Familie Campbell. Der Vater Campbell war ein Geistlicher und hatte zwei Töchter. Die ältere Tochter hieß Isabell. Diese wurde wie eine Heilige verehrt. Menschen pilgerten zu ihr hin. Es gab offensichtlich auch da schon besondere Gaben und Erscheinungen. Isabell ist allerdings früh an Tuberkulose verstorben. Der Geist und die Verehrung gingen dann auf ihre Schwester Mary über. Beide Mädchen hatten die "Gabe der Weissagung" besessen und Visionen und Gesichte gehabt, ebenso die schottische Familie MacDonald. In allen diesen Familien traten die Gaben der Weissagung, der Heilung und des Zungenredens auf. Sie sahen sich als vom Heiligen Geist erfüllt und inspiriert an ("Inspirierte").

Diese Ereignisse verursachten großes Aufsehen bis nach London. In der Nähe von London gab es seit 1826 die Albury-Konferenzen, benannt nach dem Schloss und Sitz des englischen Bankiers Henry Drummond. Dort hatte man auch schon um die Wiederbelebung der urchristlichen Geistesgaben gebetet. Um die Phänomene zu untersuchen, reisten Teilnehmer der Albury-Konferenzen nach Schottland und sagten danach:

"Hier sind die gleichen Gaben nach 1. Korinther 12 und 14 wie in der Urkirche – Glossolalie, Krankenheilungen und Weissagungen und ähnliches."

Alles das geschah wohlbemerkt fast ein Jahrhundert vor Beginn der Pfingstbewegung.

Welche "Prophezeiungen" gab es denn in Karlshuld und Schottland? Über die Ereignisse in Karlshuld im Jahre 1828 findet sich folgende Schilderung:

"Zwei Personen (ein Mann und eine Frau) bekamen prophetische Gaben, und folgende Punkte waren es vorzüglich, die sehr oft gesagt wurden: Der Herr wolle jetzt Seine Kirche wiederherstellen wie am Anfange: dieses Heiles und Segens werde Er Protestanten, Katholiken u. a. ohne Unterschied teilhaftig machen; Er werde wieder Apostel geben und Propheten, wie am Anfange...",

so in einem Brief von Lutz an den katholisch-apostolischen Professor Heinrich Thiersch in Marburg vom 3.2.1852. Über "Prophezeiungen" in Schottland berichtet R. Norton in seinem Buch "The Restoration of Apostles And Prophets" aus dem Jahre 1861 (S. 20 ff.):

"Die Zeit ist kurz. Die Zeit ist nahe. Gott kommt näher. Der gelobte Morgen kommt."

Und eine andere "Prophezeiung" lautete:

"Ich erinnere mich an das Rufen im Geist, 'Sende uns Apostel, – sende uns Apostel.'"

Die "Prophezeiungen" waren also ganz deutlich verbunden mit dem Ruf nach Aposteln, nach der Wiederherstellung der Urkirche in ihrer völligen Gestalt mit allen damaligen Ämtern.

2. Edward Irving

Eine Schlüsselfigur der Anfangszeit ist der Theologe Edward Irving. Geboren am 4. August 1792 in Annan in der schottischen Grafschaft Dumfries, studierte er später an der Universität Edinburgh. Mit 18 Jahren wurde er Lehrer der Mathematik an einer Schule in Haddington, wo er bis 1819 blieb. Er wollte Missionar werden und wurde dann als Hilfsprediger von dem bekannten schottischen Verkündiger Thomas Chalmers nach Glasgow berufen. Dies geschah im Jahre 1819. In Glasgow allerdings konnte er noch nicht durchdringen, er hatte da wenig Erfolg. 1822 schließlich erfolgte seine Berufung nach London, die von dem Presbyterium der kleinen kaledonischen Kirche in Hatton Garden im Zentrum Londons ausging. Das war für den Dreißigjährigen ein großer Schritt. Irving besaß eine feurige Predigtgabe, konnte die Intellektuellen ansprechen und offenbarte neue Erkenntnisse, die er den Menschen vermitteln wollte. So hatte er bald Zulauf von höchsten Kreisen der Londoner Gesellschaft. Seine Kirche war meistens überfüllt. Deshalb hat seine spätere Amtsenthebung umso größeres Aufsehen verursacht. Man musste auf dem Regent Square 1827 extra für Irvings Gemeinde eine neue Kirche bauen. Der Gottesdienst dauerte selten unter zweieinhalb Stunden.

Irving hatte mit der Kirchenleitung bereits ab 1827 Probleme bekommen. Er war Mitglied der schottisch-presbyterianischen Kirche, die einen strengen Calvinismus vertrat. Seine Christologie sei häretisch (eine Irrlehre) , warf ihm seine Kirche vor. Im Oktober 1827 kam ein Mann in seine Sakristei und fragte ihn, "ob er in seiner Predigt den menschlichen Leib des Herrn als von sündlicher Substanz bezeichnet habe, ob er glaube, dass der Leib des Sohnes Gottes sterblich, verderbt und vergänglich, wie jeder Menschenleib, gewesen sei?" Und als er das bejaht hatte, erschien kurz darauf eine Schrift von eben diesem Mann namens Cole, der ihn öffentlich dieser Irrlehre beschuldigte. Irving musste antworten mit der Verteidigungsbroschüre "Christi Heiligkeit im Fleisch".

Irvings Christologie ist tatsächlich so beschaffen, dass er sehr stark die Menschlichkeit Jesu betont, kaum die Göttlichkeit. Er betrachtet Christus als Repräsentanten der Menschheit, der uns alle verkörpere. Christus sei nur deshalb Christus, weil in ihm der Geist Gottes wohne. Die >Geistestaufe mache ihn zu dem, der er sei – und diese könnten wir auch alle erlangen. Irvings Geistbegriff besagt, dass der Geist Gottes die menschliche Natur Christi erfüllt und ihn dadurch zu übernatürlichen Taten befähigt habe. Christus habe das vorweggenommen, was nun jeder Mensch erlangen könne, wenn auch nicht in der Vollkommenheit wie Christus. Irvings Christologie – so möchte ich an dieser Stelle anmerken – ist zwar nicht repräsentativ für die Christologie der Katholisch-Apostolische Kirche, auch nicht der Neuapostolischen Kirche und auch nicht der Pfingstbewegung, aber eine Schwerpunktverlagerung von der Bedeutung Jesu Christi auf die Bedeutung des Heiligen Geistes ist bei all diesen – in sich unterschiedlichen – Gruppen festzustellen.

Als Irving im Mai 1828 in Edinburgh/Schottland, in seiner Heimat, weilte, lernte er den Geistlichen John Campbell kennen. Dieser John Campbell stammte aus der bereits erwähnten Familie Campbell aus Gairloch im Norden Schottlands. John Campbell hatte auch Probleme mit seiner Kirche und befürchtete, seines Amtes enthoben zu werden, was allerdings erst drei Jahre später, 1831, eintrat. Er lehrte die Ansicht, die gegen den strengen Calvinismus mit seiner doppelten Prädestinationslehre stand, nämlich dass Gott alle Menschen so liebe, dass er für alle seinen Sohn in den Tod gegeben habe. Da Christus für alle gestorben sei, könne er allen vergeben und sie vom Gericht freisprechen. Es existiere also keine Vorherbestimmung zum Heil oder zur Verdammnis, sondern Gottes Liebe gelte universal (>Allversöhnung oder Heilsuniversalismus). Durch den Kontakt mit John Campbell und seiner Familie kam Irving auch mit den übernatürlichen Phänomenen in Berührung, die oben bereits erwähnt wurden.

Durch die Vermittlung Irvings und anderer Personen kamen diese Gaben der Weissagung, des Zungenredens, der Heilung und Prophetie nach London. Anfang der dreißiger Jahre wurde dort in Gebetsstunden um das Ausgießen des Heiligen Geistes in seiner Fülle gefleht. Die Person, die dazu gebraucht wurde, war zunächst einmal die Frau des Rechtsanwaltes Cardale. Frau Cardale weissagte und sagte: "Der Herr kommt bald, er kommt, er kommt." Wir müssen rückblickend sagen: Das ist damals nicht eingetroffen! Insofern haben sich diese "Weissagungen" als doch nicht von Gott inspiriert erwiesen. Irving aber duldete sie in zunehmendem Maß in seiner Gemeinde.

1830/31 traten drei Zungenrednerinnen in London auf:

Und das führte zu Tumulten, Sensationsgier und Auseinandersetzungen in der Kirchengemeinde, in der Presbyterianischen Kirche und schließlich zur Amtsenthebung Irvings. Es kam es zum Prozess gegen Irving, weil er diese Vorkommnisse duldete. In der Anklage berief sich die Presbyterianische Kirche auf ihre Gottesdienst-Ordnung, in der es hieß:

"Sobald der öffentliche Gottesdienst angefangen hat, hat jeder seine ganze Aufmerksamkeit darauf hinzurichten, darf nichts lesen, außer was der Geistliche verliest oder zitiert; er hat sich noch mehr vor allem Flüstern, allem Verkehr mit anderen u. s. w. und vor allem unpassenden Betragen, welches den Geistlichen oder das Volk stören oder sich und andere vom Gottesdienst abhalten könnte, zu hüten."

Es soll also völlige Konzentration auf das Wort Gottes herrschen. Und wenn Tumulte entstanden und Irving Ursachen duldete, welche diese herbeiführten, musste er mit Konsequenzen rechnen.

Ein zweites Argument gegen Irving war mehr theologisch-grundsätzlicher Natur: Die reformierte Westmister-Konfession hält daran fest, dass die Offenbarung Gottes in Form der Bibel vorliegt und als solche abgeschlossen ist, dass also keine neuen Offenbarungen notwendig sind (Neuoffenbarung).

So heisst es:

"Der ganze Rat Gottes ... ist entweder ausdrücklich in der Schrift niedergelegt oder kann durch rechte und genaue Folgerungen aus der Schrift abgeleitet werden; niemals und nirgends ist etwas dazu zu setzen weder durch neue Offenbarungen des Geistes, noch durch menschliche Traditionen."

Irving hielt dagegen:

"Wenn das das Werk des Geistes ist, wer könnte es hindern?" Und er warf der Kirchenleitung vor, sie stelle gar nicht die Frage, ob das jetzt der Geist Gottes wirke, sondern gehe mit Formgründen gegen ihn vor. Dem könne er sich nicht fügen. "Ist dies das Werk des Heiligen Geistes, die Stimme Jesu in seiner Kirche, wer bin ich, dass ich sie hindern könnte?"

Irvings Verteidigung konnte seine Amtsenthebung nicht verhindern. Es kam zum Prozess. Im Mai 1832 wurde ihm untersagt, in der Kirche am Regent Square weiterhin lehren zu dürfen. Und dann, wenige Tage später, mietete er einen Saal in London, in dem auch der Utopist Robert Owen seine Vorträge gehalten hatte, mit 800 Plätzen. Er hielt von nun an dort seine Versammlungen ab – oder eben auf den Plätzen und Strassen Londons unter freiem Himmel. 1833 (nach den ersten Apostelberufungen; s.u.) wurde dann ein noch schwerwiegenderes Urteil über Irving gefällt, welches zu seinem Ausschluss aus der schottisch-presbyterianischen Kirche führte. Der Grund war seine bereits erwähnte Irrlehre über die menschliche Natur Christi. Irving lebte danach nur noch kurze Zeit. Im Herbst 1834, eineinhalb Jahre später, nachdem er vorher noch zum "Engel", also zum Bischof der apostolischen Gemeinde, ernannt worden war, ist er aufgezehrt von diesen Kämpfen mit 42 Jahren verstorben. Er wurde in der St. Mungos Kathedrale in Glasgow bestattet, wo über seiner Grabstätte auf einem Gemälde die Figur Johannes des Täufers mit dem Angesicht Edward Irvings dargestellt wurde – Johannes der Täufer, der Christus vorausgeht und ihn ankündigt.

Irving selber wurde nicht "Apostel", ist aber ein maßgeblicher Vorläufer und Impulsgeber der Katholisch-Apostolischen und Neuapostolischen Bewegung gewesen – auch wenn sich diese Gruppen in der Folgezeit zumeist von ihm distanziert haben, da sie mit seinen teilweise extremen Lehren und Ansichten nicht identifiziert werden wollten. Insofern ist auch die zum Schimpfwort gewordene Bezeichnung "Irvingianer" für die apostolischen Gruppen problematisch und wird von diesen strikt abgewiesen. Dennoch hat Irving unbestreitbare Einflüsse auf die apostolische Bewegung ausgeübt. Es wären zu nennen: die Wiederentdeckung der charismatischen Gaben, die Betonung des Heiligen Geistes, die Propagierung der Geistestaufe, die Erwartung der nahen Wiederkunft Jesu Christi. Nach Ansicht von Albrecht Weber (Die Katholisch-Apostolischen Gemeinden, Diss. 1977, XVI) war Irving nicht "Stifter" der Katholisch-Apostolischen Gemeinden, sondern, "Herold", "Verkünder" und "Propagandist". Die Stifter waren andere Personen, von denen im nächsten Abschnitt zu handeln ist.

3. Erste Propheten- und Apostelberufungen

Als Stifter der Katholisch-Apostolische Kirche können der Londoner Bankier Henry Drummond und der Londoner Rechtsanwalt John Bate Cardale bezeichnet werden. Seit dem ersten Advent 1826 lud Drummond auf Anregung des anglikanischen Geistlichen Lewis Way jährlich für eine Woche 30-50 Geistliche und (nach bestimmter Art ausgewählte) Laien auf seinen Landsitz Albury Park bei London ein. Diese beschäftigten sich bei den Albury-Konferenzen u.a. mit folgenden Themen: mit der Lehre der Heiligen Schrift über die Zeiten der Heiden, die auslaufen werden nach Lukas 21,24 und Römer 11,25, und über die gegenwärtige Haushaltung Gottes; mit der Lehre über die Juden, über das Schicksal Israels; mit der Lehre von der zweiten Ankunft (Wiederkunft) Christi; mit der Reihenfolge der Ereignisse, die der Wiederkunft vorausgehen.

Die Ergebnisse, welche die Albury-Konferenzen hervorbrachten, lassen sich in sechs Punkten zusammenfassen:

Der letzte Punkt ist sicherlich der problematischste. Die Albury-Konferenz löste sich denn auch auf, als die Katholisch-Apostolische Kirche entstand. Aber sie war die Keimzelle dafür.

Wie kam es nun zur "ersten Apostelberufung der Neuzeit"? Die "charismatisch Erweckten" waren am Anfang der Dreißiger Jahre zunehmend aus ihren Kirchen ausgeschlossen wurden. Und nun geschah folgendes:

Henry Drummond wurde am 20. Oktober 1832 durch eine "Prophezeiung" zum "Hirten" der Gemeinde Albury berufen, die damals etwa fünfzig Personen zählte. Es war eine Art Hausgemeinde. Aber Drummond trat dieses Amt des Hirten nicht an, weil er überzeugt war, dass ihm noch die Ordination, die Amtseinsetzung durch Handauflegung (mit Geistübertragung) fehle. Nun geschah es aber, dass am 31. Oktober 1832 der Londoner Rechtsanwalt John Bate Cardale durch ein "prophetisches Wort" als "Apostel" angesprochen wurde. (Die Amtsbezeichnungen der Katholisch-Apostolische Kirche, ebenso wie der Neuapostolischen Kirche und ähnlicher Gemeinschaften, sind immer in Anführungsstrichen zu denken.) Cardale hatte gebetet, dass die Versammlung im Hause Drummonds angetan werde mit der Kraft aus der Höhe. "Während er da noch kniete, hingenommen im Geiste, erhob sich Drummond und redete ihn an mit unbeschreiblicher Macht und Würde: ´Bist du nicht ein Apostel! Warum spendest du nicht den Heiligen Geist?`" Der 30 jährige Londoner Rechtsanwalt Cardale wurde also 1832 zum ersten "Apostel der Neuzeit" oder "Endzeit" berufen – zunächst von seinem Freund Henry Drummond und dann bestätigt von dem späteren "Pfeilerpropheten" Taplin. Nun nahm die Geschichte ihren Lauf. Am Heiligabend 1832 ordinierte Cardale den Prediger William Caird (den Ehemann von Maria Campbell; s.o.) zum Evangelisten und zwei Tage später Henry Drummond zum Hirten. Dieser erhielt nun seine ersehnte Ordination, und damit begann der Aufbau einer priesterlichen Ämterordnung oder Hierarchie. Folgende weitere Männer wurden zu "Aposteln" berufen: am 25. September 1833 Henry Drummond; am 18. Dezember 1833 der königliche Beamte am Londoner Tower, Henry John King-Church; im gleichen Monat der Parlamentarier und Sohn eines englischen Staatsministers, Spencer Perceval; im Januar 1834 der ehemalige anglikanische Geistliche Nicholas Armstrong; am 13. August 1834 der Londoner Rechtsanwalt Francis Valentine Woodhouse (der längstlebende Apostel, der erst 1901, mit 96 Jahren, verstorben ist).

Damit war im Sommer 1834, also eineinhalb Jahre nach der Berufung Cardales, die Zahl "Sechs" erreicht. Das Ziel blieb aber die Vollzahl, die "Zwölf" – analog zum engsten Apostelkreis um Jesus. So wurde Cardale vom "Geist" angewiesen, mit dem Propheten Taplin die Gemeinden zu besuchen, die sich immer mehr bildeten, damit Gott weitere Apostel bezeichnen solle. Und so wurden im Jahre 1835 sechs weitere Männer zu Aposteln berufen: der Schriftsteller John Owen Tudor, der ehemalige anglikanische Pfarrer Henry Dalton, der schottische Adlige und Rechtsgelehrte Thomas Carlyle, der adlige Gutsbesitzer und Hauptmann Francis Sitwell, der ehemalige schottische presbyterianische Geistliche William Dow und der Apotheker und Arzneimittelgroßhändler Duncan Mac Kenzie. Der zuletzt berufene Apostel MacKenzie gilt als der "Judas" in diesen Kreisen, weil er fünf Jahre später seine Apostelberufung zwar weiterhin anerkannte, aber sich von der Amtsausübung wegen Auseinandersetzungen zurückzog. Das sind also die zwölf "Apostel der Endzeit" aus der Katholisch-Apostolischen Bewegung.

4. Aussonderung der Apostel

Ein weiteres wichtiges Datum war der 14. Juli 1835. Nachdem alle zwölf Apostel "bezeichnet" waren, wurden sie an diesem Datum "ausgesondert". Die Aussonderung war die Amtseinführung durch die Handauflegung sämtlicher in London bereits eingesetzten "Engel" und "Erzengel" (Bischofsämter). Es handelte sich dabei um Bischöfe der sieben Gemeinden in London (symbolische Siebener-Struktur), die zumeist nach Stadtteilen benannt waren: Zentralgemeinde, Bishopsgate, Southwark, Chelsea, Islington, Paddington und Westminster. Als die Apostel ausgesondert waren, zogen sie sich ein Jahr lang nach Albury auf den Schlosssitz von Drummond zurück, um sich auf ihre Aufgabe vorzubereiten, die Welt mit der neuen Apostellehre zu durchdringen. Bei den katholisch-apostolischen Apostelversammlungen führte der "Pfeilerapostel" Cardale als Erstberufener zwar den Vorsitz, aber es gab noch kein Stammapostolat mit einer absoluten Regierungsgewalt wie später in der Neuapostolischen Kirche. Vielmehr galt Cardale als "Gleicher unter Gleichen". Taplin war "Pfeiler der Propheten", und es gab je einen Pfeiler der Evangelisten und Hirten, die "Gleiche unter Gleichen" sein sollten.

In diesem Jahr der Stille trafen sie sich täglich zu Bibelbetrachtungen, die allerdings mit Hilfe von sieben Propheten betrieben wurden, d.h. die Propheten erschlossen den Aposteln durch ihre Eingebungen den "Geist der Schrift", oft auch allegorisch. Diese zwölf Apostel repräsentierten nach ihrer eigenen Vorstellung die zwölf Stämme des "geistlichen Israels", also der Gemeinde. Gott sollte die Christenheit unter ihnen, die allesamt Bewohner der Britischen Inseln waren, aufteilen. Deshalb wurde die Christenheit in zwölf Stämme gegliedert und jedem Apostel ein Stamm zugeteilt: Cardale erhielt England und Amerika als den Stamm Juda. Drummond erhielt Schottland und die protestantische Schweiz, den Stamm Benjamin. Perceval erhielt Italien, den Stamm Manasse. King-Church erhielt Dänemark, Niederlande und Belgien als Isaschar. Armstrong erhielt Irland, Griechenland und den Orient als Sebulon. Woodhouse erhielt Süddeutschland und Österreich, den Stamm Ruben. Tudor erhielt Polen, Indien und Australien als Ephraim. Dalton erhielt Frankreich und den katholischen Teil der Schweiz: Asser. Carlyle erhielt Norddeutschland: Simeon. Sitwell erhielt Portugal und Spanien: Naphtali. Dow erhielt Russland, Finnland und das Baltikum: Dan. MacKenzie erhielt Norwegen und Schweden: Gad. Die kirchliche Herkunft dieser "Apostel" war übrigens unterschiedlich. Die meisten waren Anglikaner. Es gab aber auch einen Freikirchlichen (Henry John King-Church), Independisten, Kongregationalisten und Schottisch-Presbyterianische.

Carlyle berichtet offen über die Probleme des Anfangs:

"Niemand wusste, was ein Apostel sei, welche Pflichten und Verpflichtungen mit diesem Amte verbunden seien. Wir mussten alles wie Kinder lernen, wir mussten alle in die Schule gehen, und manchmal in eine sehr schwere Schule. Nun entstand die Frage, wie das apostolische Amt ausgeübt werden sollte. Wir sahen: Alle anderen Ämter werden durch Apostel eingesetzt, aber die Apostel allein durch den Herrn" (zit. nach Weber, ebd., 26).

Die Apostel also fürchteten ihre Unwissenheit. Wie Kinder mussten sie erst lernen. Anfangs hatten sie ja die Vollzahl noch nicht erreicht, lebten zum Teil noch in ihren alten Gemeinden – und das Apostelamt bedeutete einen riesigen Bruch in ihrem Leben. Mit der Aussonderung war nun ein neuer Schritt erreicht. Sie waren von allen bisherigen Verpflichtungen befreit und für ihren Dienst freigestellt.

5. Das Testimonium der Apostel

Die neuen Apostel wandten sich seit 1835 mit verschiedenen Aufrufen ("Testimonium") an geistliche und weltliche Führer der Erde, um auf die Endzeit, die zu erstrebende Einheit und Sammlung der Christen und das dazu dienliche wiederaufgerichtete Apostelamt hinzuweisen. Die Resonanz bei den Adressaten war äußerst gering, die Reaktion fast durchweg ablehnend, da keiner (schon gar nicht der Papst) bereit war, die Autorität dieser Männer als "Apostel" anzuerkennen. Nachfolgend zur Illustration ein Ausschnitt aus dem "Zeugnis der Apostel an die geistlichen und weltlichen Häupter der Christenheit" aus dem Jahre 1836:

"Und schon hat Er (Gott) sich aufgemacht, Sein Heiligtum wieder zu bauen, die zerfallene Hütte Davids, Seinen Wohnsitz in Zion. Von da geht Sein Zeugnis an alle Getauften, ausgerichtet von zwölf Männern, die durch den Heiligen Geist zu Aposteln berufen und aus den Orten ihrer Geburt ausgesondert worden sind für den Dienst Christi in allen Landen. Ihr Amt wird es sein, durch den Glauben und das anhaltende Gebet des Volkes Gottes allen Getauften den Segen auszuspenden, den Jesus, der Apostel Seiner Kirche, durch Apostel geben möchte ... Dies ist keine neue Sekte: es ist Gottes Werk, um Seinen Segen der ganzen Christenheit, der ganzen getauften Welt, mitzuteilen ... In der ganzen Christenheit, Gesetzlosigkeit: hier Unterwerfung unter die Autorität; außerhalb, Spaltung und Sekten: hier Ein Leib, einig im Glauben, mit Lehrern, die einmütig dasselbe lehren. Draußen, Schulen des Antichrists unter dem Vorsitz von Häuptern, die sich das Volk selbst erwählt hat: hier, Ein Leib, regiert durch Ämter, die nicht vom Volke eingesetzt, sondern von Gott gegeben sind."

6. Aussterben der Apostel und Krise

1855 starben innerhalb kurzer Zeit drei der ersten "Apostel der Neuzeit": Thomas Carlyle, William Dow und Duncan MacKenzie. Das war für die Katholisch-Apostolische Kirche eine Überraschung – hatte man doch zunächst noch die Wiederkunft Christi zu Lebzeiten aller Apostel erwartet. Nun aber stellte sich die Frage, ob man neue Apostel in diese Ämter berufen solle, und man entschied bereits damals bei den Katholisch-Apostolischen, keine neuen Apostel zu berufen. Die Bewegung, die das jedoch tat, war die spätere Neuapostolische Kirche mit ihren Vorläufer-Gruppen (Geyerianer; s. dort). Man berief deshalb keine neuen Apostel, weil man die Wiederkunft Jesu Christi noch zu Lebzeiten zumindest der letzten katholisch-apostolischen Apostel erwartete. Diese Erwartung hat sich nicht erfüllt. Im Jahre 1901 starb als letzter "Apostel der Neuzeit" innerhalb der Katholisch-Apostolische Kirche Francis Valentine Woodhouse. In den Jahrzehnten darauf starben nacheinander die letzten Bischöfe, Priester und Diakone. Im Zusammenhang damit ist die Zahl der katholisch-apostolischen Gemeinden immer mehr zurückgegangen. Die ökumenische Breitenwirkung, die von ihren Gründern angestrebt worden war, wurde nicht erreicht. Die Katholisch-Apostolische Kirche wurde infolge der überwiegenden Nichtanerkennung ihrer Apostel immer mehr in ein sektiererisches Nischendasein gedrängt. Heute treffen sich Mitglieder und Besucher der Katholisch-Apostolische Kirche noch in kleinen Gruppen an verschiedenen Orten. Oft nehmen sie auch an Gottesdiensten anderer Kirchen teil, um etwa das Abendmahl zu empfangen.

7. Beurteilung

Die Katholisch-Apostolische Kirche ist – trotz ihres ursprünglichen ökumenischen Anspruchs – als Sekte zu werten. Der Hauptgrund für dieses Urteil ist ihre Ernennung neuer Apostel gegen die Lehre der Heiligen Schrift, welche Apostel nur für die ersten Gemeinden in der Urchristenheit und nicht für spätere Zeitepochen kennt (Apostel). Als weitere Gründe sind mancherlei Sonderlehren und nicht eingetroffene "Prophezeiungen" zu nennen (Falsche Propheten).

Zur Beurteilung vgl. auch: Geyerianer; Neuapostolische Kirche, Neuoffenbarung, >Geistesgaben, Zungenreden u.ä.

Lit.: J. A. Schröter, Die Katholisch-Apostolischen Gemeinden in Deutschland und der "Fall Geyer", Dissertation, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg 1996; C. G. Strachan., The Pentecostal Theology of Edward Irving, Peabody/Mass. 1988; A. Weber, Die Katholisch-Apostolischen Gemeinden. Ein Beitrag zur Erforschung ihrer charismatischen Erfahrung und Theologie, Inauguraldissertation, Philipps-Universität Marburg/Lahn 1977; L. Gassmann, Neuapostolische Kirche. Gibt es wieder Apostel?, Lage 2001.

Lothar Gassmann

Irving, Edward: Katholisch-Apostolische Kirche

Irvingianer: Katholisch-Apostolische Kirche


Index

Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):

1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de