Neuapostolische Kirche (NAK)

Klick auf den Kompass öffnet den Index1. Entstehung und Problematik:

Die NAK ist hervorgegangen aus der Katholisch-Apostolischen Kirche – zumindest nach ihrem Selbstanspruch, aber die Katholisch-Apostolische Kirche erkennt die NAK nicht an. Die Entwicklung von der Katholisch-Apostolischen Kirche (die es heute noch gibt) bis zur NAK verlief kompliziert. 1863 hat sich als Abspaltung davon die "Allgemeine Christliche Apostolische Mission" (Geyerianer) herausgebildet. Die aus dieser hervorgegangene Gruppe, die zunächst "Allgemeine Apostolische Mission" hieß und zur NAK wurde, trug dann ab 1907 den Namen "Neuapostolische Gemeinde" und ab 1930 den Namen "NAK". Der holländische Zweig, der wichtig ist, denn dieser ging dem deutschen voraus, hieß "Hersteld Apostolische Zending Gemeente". Der nordamerikanische Zweig trug den Namen "First General Apostolic Church in Chicago, Illinois". Zur frühen Geschichte s. die Artikel: Katholisch-Apostolische Kirche und Geyerianer. Die drei ersten und für die Lehrbildung einflussreichsten Stammapostel waren Fritz Krebs (1832-1905; Stammapostel 1895-1905), Hermann Niehaus (1848-1932; Stammapostel 1905-1930) und Johann Gottfried >Bischoff (1871-1960; Stammapostel 1930-1960). Walter Schmidt amtierte als Stammapostel von 1960 bis 1975. Er starb im Jahre 1981 im Alter von 89 Jahren. Seine Nachfolger im Stammapostelamt wurden: Ernst Streckeisen (1975-1978), Hans Urwyler (1978-1988), Richard Fehr (ab 1988). Die letzten drei sind Schweizer. Unter ihnen verlief die Geschichte in ruhigeren Bahnen als bei ihren Vorgängern, wenn es auch immer wieder Opposition, Austritte und Spaltungen gab (z.B. 1988 durch den Apostel H. G. Rockenfelder, der vergeblich das prophetisch-charismatische Element der Anfangszeit wieder einführen wollte; er gründete die "Apostolische Gemeinde").

Die Geschichte der NAK und ihrer "Vorläufer-Kirchen" ist eine Geschichte von Gaben und Geistesaufbrüchen, von Amt und Autorität, aber auch von Kämpfen und Rivalität, von Falschprophetie und Spaltungen. Betrachtet man sie im Zusammenhang, dann stellt sich eine Reihe von Fragen, z.B.: a. War bei den Aufbrüchen und spektakulären Erscheinungen im 19. Jahrhundert wirklich der Geist Gottes am Werk – oder war es ein falscher, dämonischer Geist? – b.  Wie sind in diesem Zusammenhang die Voraussagen – vom Albury-Kreis bis zu J. G. Bischoff – einzuordnen, die fast alle nicht alle eingetroffen sind? – Lies hierzu 5. Mose 18,22! – c. Welche der "apostolischen" Gruppierungen, die alle miteinander im Konflikt stehen, vertritt nun die "wahre apostolische Kirche": die Katholisch-Apostolische Kirche, die Allgemeine Christliche Apostolische Mission, die NAK, eine der vielen apostolischen Splittergruppen – oder gar keine von diesen allen? – d. Bindet sich der Heilige Geist wirklich an ein Amt, wie etwa das des Stammapostels? – Lies hierzu Joh. 3,8! — e. Besteht bei Praktiken der NAK wie Taufe und Versiegelung für die Toten nicht die Gefahr des Spiritismus ? – Vgl. 5. Mose 18,9ff.!

Noch wichtiger als alle diese Fragen ist jedoch folgende grundlegende Frage: Ist in der Bibel für unsere Zeit wirklich das Auftreten neuer Apostel verkündigt – oder handelt es sich hierbei um eine Fehldeutung der Heiligen Schrift, verbunden mit menschlichem Wunschdenken und Machtstreben? Falls die Bibel für unsere Zeit keine neuen Apostel voraussagt, kann es sich bei allen neuen "Apostelbewegungen" nur um falsche Apostel handeln.

2. Gibt es wieder Apostel?

In neutestamentlicher Zeit existierte der Zwölferkreis: zwölf Apostel als Repräsentanten der zwölf Stämme Israels, als engster Kreis um Jesus. Zusätzlich gab es aber auch weitere Apostel, etwa Matthias, der anstelle von Judas Ischarioth nachberufen wurde, sowie Paulus, der den Herrn gesehen hat, wenn auch auf eine andere Art als die anderen, und schließlich den weiteren Kreis wohl einiger Dutzend Männer, die hinausgesandt wurden, um die Grundlage der christlichen Kirche zu legen. Zu diesen "anderen Aposteln" neben den Zwölfen zählten u.a. Barnabas, Apollos, Junias, Epaphroditus, Andronikus, Matthäus und Jakobus. Es gab also den Zwölferkreis als den engsten Apostelkreis, aber auch eine darüber hinausgehende Schar von Aposteln.

Die entscheidende Frage lautet nun aber, ob es in der Neuzeit überhaupt wieder Apostel gibt. Dies ist die Frage nach der Sukzession (Amtsnachfolge). Gibt es eine ununterbrochene Nachfolge von Aposteln, überhaupt eine Einsetzung von Apostel-Nachfolgern im Neuen Testament? Eindeutig nicht! Denn wenn das Apostelamt eine Einrichtung auf Dauer gewesen wäre, wie ist es denn dann zu erklären, dass nach dem Aussterben der ersten Apostel keine weiteren Apostel eingesetzt wurden (im Zwölferkreis: außer bei der Nachwahl des Matthias für den Verräter Judas Ischarioth)? Das wäre ja ein sträflicher Leichtsinn gewesen und hätte im Widerspruch zum Auftrag des Herrn gestanden. Aber offensichtlich hat es einen solchen Auftrag des Herrn Jesus zur weiteren Aposteleinsetzung nicht gegeben. Dies ist ein historisches Argument. Die Sukzessionskette, die Amtsnachfolge, ist beim Tode der Urapostel abgerissen – und sie ist auch 1800 Jahre abgerissen geblieben. Erst durch das sogenannte "neue Wirken des Heiligen Geistes" kam das "apostolische Werk der Gegenwart" in Gang: "Da ward Drummond vom Heiligen Geist getrieben, an Cardale heranzutreten und ihn in der Kraft des Heiligen Geistes anzureden: ´Bist du nicht ein Apostel? Tue eines Apostels Werk.` Und dabei redete Drummond durch den Heiligen Geist viele und ernste Worte über die Pflichten des apostolischen Amtes." Das war der Anfang des Apostelamts in der Neuzeit, wobei auch hier die Sukzession insofern unterbrochen ist, als die Katholisch-Apostolischen die Neuapostolischen nicht als ihre Amtsnachfolger anerkennen. Es besteht also, wenn man so will, eine doppelte Unterbrechung der Sukzession, der Ämterfolge. Die Neuapostolischen berufen sich auf den Anfang bei den Katholisch-Apostolischen gegen deren Willen und Selbstverständnis.

Nach evangelischem Verständnis gibt es eine "successio originis" (eine Nachfolge von den Anfängen der Kirche her) und eine "successio doctrinae" (eine Nachfolge in der Lehre), aber keine "successio apostolica" (eine Nachfolge der Apostellinie in personaler Gestalt). Hierzu ein Zitat des Dogmatikers Hermann Sasse: "... die echte apostolische Suzession (ist) immer nur die Sukzession der Lehre, feststellbar an der Identität des Inhalts der Verkündigung der jeweiligen Kirche mit dem im Neuen Testament gegebenen Zeugnis der Apostel. Wohl gibt es auch eine Sukzession der Lehrer, der treuen Verkündiger der apostolischen Botschaft. Aber diese ist nur Gott bekannt, so wie nur Gottes Auge die wahre Kirche sieht ... Indem das Aufstellen von Amts- und Überlieferungsketten in die Kirche eindrang, drang wieder ein Stück uralter nichtchristlicher Religion in die Kirche ein. Man suchte in menschlichen Büchern das, was nur in den Büchern Gottes steht" (In statu confessionis, 1975, 195).

Ein "apostolos" ist ein Gesandter seines Auftraggebers. Er ist nur solange beauftragt, wie sein Auftrag dauert. Das heisst, das Apostelamt ist eine zeitweilige Funktion, die erlöscht, wenn der Auftrag ausgeführt ist. Und daraus ergibt sich wiederum, dass ein Apostel seinen Auftrag nicht an einen Dritten übertragen, sondern nur in die Hände des Auftraggebers zurücklegen kann. Dies wird ganz deutlich etwa bei der Apostelberufung in Matthäus 10 und Markus 6: Die Jünger waren entsandte Boten, und ihr Auftrag war zu Ende, als sie zurückkehrten zum Herrn, zu Lebzeiten Jesu auf Erden. Erst nach Jesu Auferstehung wurde ein Dauerauftrag eingerichtet. Der erhöhte Herr setzte seine Jünger zu bevollmächtigten Gesandten ein: "Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker. Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie hatten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende" (Mt 28,18-20).

Hier handelt es sich also um einen Dauerauftrag, aber von Nachfolgern der Apostel im ursprünglichen Sinn ist nicht die Rede, sondern die ersten Boten werden ausgesandt, um die Grundlage der Gemeinde zu legen. Apostel haben Grundlagenfunktion. Sie betreiben die Fundamentlegung (Eph 2,20). Und wenn das Fundament gelegt ist, baut ein anderer darauf weiter. Wenn es einmal gelegt ist, kann man nicht noch ein anderes darauf bauen. Und deshalb ist die Funktion der Apostel erloschen mit der ersten Generation.

Ferner waren die Urapostel unmittelbar vom Herrn berufen, selbst Matthias, der durch das atttestamentliche Losverfahren bestimmt wurde. Matthias erfüllte das für einen Apostel entscheidende Kriterium der Augenzeugenschaft (Apg 1,21 f.). Er hat Jesus vor und nach seiner Auferstehung gekannt. Das kann heute keiner der "neuen Apostel" von sich behaupten. Die Urapostel hatten zusammen mit Jesus gelebt und waren Zeugen seiner Auferstehung. Auch Paulus war unmittelbar von Christus berufen worden. In Gal 1,1 lesen wir: "Paulus, ein Apostel nicht von Menschen, auch nicht durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott, den Vater, der ihn auferweckt hat von den Toten." In Gal 1,12 spricht er von einer "Offenbarung Jesu Christi" und in Gal 1,16 davon, dass "Gott seinen Sohn" in ihm offenbarte. In Gal 2 betont Paulus, dass er sich nicht mit menschlichen Autoritäten beredet hat, auch nicht mit Petrus, den er erst drei Jahre nach seiner Berufung kennen gelernt hat. Vielmehr ist er ist durch Gott unmittelbar berufen, nicht durch Menschen (also z.B. andere Apostel) eingesetzt worden. Paulus hat den Herrn Jesus "gesehen" (1. Kor 9,1).Es war nicht der Heilige Geist, sondern Christus, der ihn berufen hat. Die Urapostel waren also entweder Augenzeugen des Lebens und der Auferstehung Jesu Christi oder erlebten eine anderweitige unmittelbare Berufung durch Christus. Nirgends in der Heiligen Schrift wird berichtet, dass sie den Auftrag erhalten hätten, in der "zweiten Generation" weitere Apostel einzusetzen, was sie folglich auch nicht getan haben.

Nun wird von katholisch-apostolischer Seite und neuapostolischer Seite durchaus erkannt und anerkannt, dass die Apostel der Urchristenheit eine Grundlagenfunktion wahrnahmen, die unwiederholbar ist, die Grundlegung der Gemeinde. Darauf wird aber geantwortet, dass die Apostel der Endzeit nicht die Grundlegung wiederholen sollen, sondern diese Gemeinde zur Vollendung führen, bevor der Herr wiederkommt. Das sei also ihr Anspruch: Jesus direkt die Gemeinde entgegenzuführen. Es gibt nur ein Problem: In der Bibel ist nirgends die Rede davon, dass am Ende der Zeiten neue Apostel Jesu Christi auftreten würden.

Ferner wird gesagt, in einer Ausgabe des Buches 4. Esra finde sich der Begriff "Neue Apostolische Kirche". Hierauf ist zu erwidern: Der Begriff "Neue Apostolische Kirche" findet sich nur in einer Kapitelüberschrift. Vor allem aber ist das Buch 4. Esra (nicht zu verwechseln mit Esra im Alten Testament!) pseudepigraph, gehört also nicht zur Heiligen Schrift, und zudem stammt die Kapitelüberschrift aus dem 17. Jahrhundert nach Christus.

Dass im Neuen Testament nirgendwo die Möglichkeit angedeutet wird, Christus werde die Plätze verstorbener Apostel durch Neusendung von Aposteln wieder auffüllen, wird von katholisch-apostolischer und neuapostolischer Seite zugegeben. Zugleich jedoch setzt man sich über die Aussage des Neuen Testaments hinweg, indem man argumentiert: Im Neuen Testament werde zwar nicht expressis verbis (ausdrücklich) eine Neusendung von Aposteln angekündigt, andererseits werde sie aber auch nirgendwo ausgeschlossen. Die Apostel und Bischöfe der ersten Zeit hätten noch in der Erwartung der baldigen Parusie (Wiederkunft Christi) gelebt. Vermutlich sahen die Bischöfe der alten Kirche in dem Tod der Apostel etwas Unabänderliches und meinten darin den Willen Christi zu erkennen. Sie folgerten daraus fälschlich, die Funktion von Aposteln sei auf die allererste Zeit der Christenheit beschränkt. Das ist aber kein Argument, höchstens ein "argumentum e silentio" (Argument aus dem Schweigen heraus), was überhaupt nichts beweist.

Dann wird weiter argumentiert: Vornehmliche Aufgabe der Apostel der ersten Zeit sei es gewesen, als Augenzeugen die Auferstehung Jesu zu bezeugen. Es gebe aber keinen überzeugenden neutestamentlichen Nachweis für die Meinung, dass Apostel den auferstandenen Herrn gesehen haben müssten. Darauf antworte ich: Selbst Paulus hat den Herrn gesehen. Das wird – wie schon ausgeführt – ausdrücklich in 1. Kor 9,1 betont: "Bin ich nicht frei, bin ich nicht ein Apostel, habe ich nicht Jesus, unseren Herrn, gesehen?" Der neutestamentliche Apostolat stützt sich geradezu auf dieses Gesehenhaben des Herrn. Außerdem spricht Paulus in 1. Korinther 15, 8 von sich selber als von einer "Missgeburt" oder einer "unzeitigen Geburt" (brephos). Er ist nämlich der Letzte von denen, die den auferstandenen Herrn gesehen haben. Mit ihm ist die Kette der Erscheinungen abgeschlossen – und damit auch die Kette der Apostelberufungen!

Von neuapostolischer Seite wird das Argument gelegentlich auch herumgedreht, es sei nicht notwendig, dass ein Apostel Jesus "im Fleisch" gesehen haben müsse. Es habe nämlich auch in urchristlicher Zeit viele Menschen gegeben, die Jesus im Fleisch gesehen haben, aber doch keine Apostel waren. Ist das ein überzeugendes Argument? Hier übersieht man, dass das bloße Sehen nicht ausgereicht hat. Hätte dieses genügt, dann hätten auch die Pharisäer Apostel werden können. Dagegen musste die Berufung natürlich hinzukommen. Jesus hat als irdischer oder auferstandener Herr Menschen in seine Nachfolge berufen. Die Augenzeugenschaft der Auferstehung Jesu sowie die Aussendung durch ihn, die Beauftragung durch den Herrn, war grundlegend, um Apostel zu werden. Apostoloi waren die Gesandten, die Jesus gesandt und beauftragt hat (s.o.).

Und auch das sei nochmals betont: Bereits im Neuen Testament wird unterschieden, ob Jesus Christus selber Menschen beruft oder ob sie durch den Heiligen Geist berufen sind. Die heutigen Apostel stützen sich auf die Berufung durch den Heiligen Geist, aber die Urapostel waren allesamt durch Jesus Christus, durch die zweite Person der Trinität, berufen. Der irdische Jesus hat sie aus ihrem Beruf herausgerufen, z.B. Matthäus Levi weg vom Zoll oder andere Jünger beim Fischen am See Genezareth. Diese wurden unmittelbar berufen durch Jesus. Und auch Paulus wurde ja durch Jesus berufen, nicht durch den Heiligen Geist (s.o.). Das darf man nicht vermischen. Der erhöhte Christus ist Paulus vor Damaskus als der Auferstandene erschienen. Heute dagegen kann keiner behaupten, dass ihm der auferstandene Sohn Gottes begegnet sei wie Paulus vor Damaskus (zumindest ist es sehr subjektiv, wenn solches heutzutage behauptet wird). Auch Paulus hatte ja deshalb schon damals Probleme, sich als Apostel zu rechtfertigen. Um wie viel schwieriger ist es dann für die "Apostel" heute. Gott kann natürlich auch heute durch seinen Geist Menschen berufen. Das geschieht ja bei jeder wirklichen Ordination. Aber berufen werden eben keine Apostel im urchristlichen Sinne, weil die unmittelbare Beauftragung und Entsendung durch Jesus fehlt.

In Eph 4,11-13 – einer immer wieder angeführten Kardinalstelle in der Diskussion über "neue Apostel" – werden zwar sämtliche Dienste aufgezählt: Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten, Lehrer. Aber diese Aufzählung muss man im historischen Zusammenhang sehen. Hier werden die Apostel sicherlich genannt; der Brief ist ja in der Zeit der Apostel geschrieben. Aber an anderen Stellen, gerade Eph 2,20, wird deutlich, dass die Gemeinde, die Kirche auf den Grund der Apostel und Propheten gelegt ist. Das heisst, sie hatten die grundlegende Funktion in der Urkirche, und als die Urkirche gegründet war, gingen die Apostel in die Welt hinaus. Nun wird darauf weiter gebaut, wie etwa Paulus in 1. Kor 3,6.10 sagt: "Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen; aber Gott hat das Gedeihen gegeben ... Ich nach Gottes Gnade, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf..."

Da die biblischen Argumente fehlen, sucht man nach anderen Kennzeichen für die Echtheit der neuen Apostel. Eines davon stützt sich darauf, dass die Neuapostolischen Gemeinden so gross seien und so blühen würden. Das sei eine Bestätigung dafür, dass die Apostel der Endzeit legitim berufen seien, denn sonst könnten die Gemeinden ja nicht so blühen. Ist das ein Argument? Es ähnelt dem Argument des Gamaliel, das aber nicht von Gott inspiriert, sondern einfach ein pragmatisches Argument zu seiner Zeit war: "Ist dies Vorhaben oder dies Werk von Menschen, so wird's untergehen; ist es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten" (Apg 5,38 f.). Der Islam besteht auch bis heute. Viele Sekten und Religionen bestehen. Und doch sind ihre Lehren nicht wahr. Dieses Argument von Gamaliel ist nicht geistgegeben. Es war nur ein praktischer Rat zur damaligen Zeit. Natürlich hat es sich auch an der Kirche bewahrheitet, dass sie nicht von den Pforten der Hölle verschlungen wird (vgl. Mt 16,18). Aber das allein würde als Kriterium nicht ausreichen. Die Dauerhaftigkeit und Größe einer Religion, Kirche oder Gruppierung ist kein Ausweis ihrer biblischen Legitimität.

Die Katholisch-Apostolischen haben als Ausweis ihrer Legitimität die Früchte ihrer Arbeit betont. J. H. Thiersch etwa weist darauf hin, dass das katholisch-apostolische Werk von Gott sein müsse, weil die Früchte so gut seien. Thiersch schreibt: "Indessen ist die apostolische Sache so lauter und kerngesund, dass sie sich gerade dem Tiefforschenden ... offen seine Einwendungen Darbringenden, beglaubigt." Falls es menschliche Anmaßung wäre, "würde in Bälde göttliches Gericht folgen, und die Früchte würden faulen; denn Gott lässt den nicht ungestraft, der Seinen Namen missbraucht." Und was geschah mit den Katholisch-Apostolischen? Das "Gericht" kam spätestens 1901, als der letzte Apostel gestorben war. Darum müssen wir auch an diese Adresse kritisch sagen, dass letztendlich ja das Gericht eintrat. Andreas Weber, der der katholisch-apostolischen Sache wohlgesonnen ist, stellt am Ende seiner ausführlichen Untersuchung doch fest: "Ist das Erleiden der Hinwegnahme des ganzen Werkes und Modells die Folge einer menschlichen und irrtümlich durchgehaltenen Idee oder ist es die Folge einer Führung Gottes? Die Antwort darauf wird unterschiedlich ausfallen" (A. Weber, Die Katholisch-Apostolischen Gemeinden, 1977, 431). Das Gericht kam in Form des Untergangs, des Aussterbens der Apostel. Heute ist das Werk verwaist und stark zurückgegangen. Die ökumenische Breitenwirkung wurde nicht erreicht. Die Neuapostolischen sagen von sich das Gegenteil: Sie seien in die Breite gewachsen. Aber auch das ist, wie ich oben ausgeführt habe, keine Legitimation, kein Beweis für die Echtheit. Beides nicht.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass uns die Bibel vor dem Auftreten >falscher Propheten und Apostel warnt, die sich als Diener Jesu Christi ausgeben, aber es nicht sind. Nach allem, was wir über die Geschichte und Lehre der "apostolischen" Kirchen des 19. und 20. Jahrhunderts wissen, trifft m. E. diese biblische Warnung – trotz vieler gutgläubiger Mitglieder und Anhänger und auch mancher guten Ziele – auf alle diese Kirchen und ihre Vertreter zu. "Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und viele verführen" (Mt 24,10). "Was ich aber tue, das will ich auch weiterhin tun und denen den Anlass nehmen, die einen Anlass suchen, sich zu rühmen, sie seien wie wir. Denn solche sind falsche Apostel, betrügerische Arbeiter und verstellen sich als Apostel Christi. Und das ist auch kein Wunder; denn er selbst, der Satan, verstellt sich als Engel des Lichts. Darum ist es nichts Großes, wenn sich auch seine Diener verstellen als Diener der Gerechtigkeit; deren Ende wird sein nach ihren Werken" (2. Kor 11,12-15).

Lit.: Apostel oder nicht im neunzehnten (bezw. zwanzigsten) Jahrhundert? Eine Zeitfrage. Vom Apostel F. W. Schwarz, 1919; Die neuapostolische Lehre im Lichte der Heiligen Schrift und das Apostelamt der Endzeit, hg. v. Hermann Niehaus, 1930; Fragen und Antworten über den Neuapostolischen Glauben: 1916; 1938; 1952; 1968; 1981; 1992; Geschichte der NAK. Herausgegeben von J. G. Bischoff, Frankfurt a. M. Zusammengestellt und bearbeitet von G. Rockenfelder, versch. Aufl., o J.; Neue Apostelgeschichte, Hg.: NAK. Internationaler Apostelbund Zürich, 1985; Richtlinien für die Amtsträger der NAK, 1963; 1993 ff.: – Kritisch. Eggenberger O., Die Neuapostolische Gemeinde. Ihre Geschichte und Lehre dargestellt und beurteilt, 1953, Gerbert J., Nur wir! Eine kritische Auseinandersetzung mit der NAK, 1994; Hutten K., Seher – Grüber – Enthusiasten. Das Buch der Sekten und religiösen Sondergemeinschaften, 15. Aufl. 1997;

König M./ Marschall J., Die NAK in der N.S.-Zeit und die Auswirkungen bis zur Gegenwart, 1994; Obst H., Apostel und Propheten der Neuzeit, 1990; Sasse H., In statu confessionis, Bd. 1, 1975; L. Gassmann, Neuapostolische Kirche. Gibt es wieder Apostel?, 2001.

Lothar Gassmann


Index

Etliche Texte sind auch in gedruckter Form erschienen in verschiedenen Handbüchern (je 144-200 Seiten, je 9,80 Euro):

1. Kleines Sekten-Handbuch
2. Kleines Kirchen-Handbuch
3. Kleines Ökumene-Handbuch
4. Kleines Endzeit-Handbuch
5. Kleines Katholizismus-Handbuch
6. Kleines Anthroposophie-Handbuch
7. Kleines Zeugen Jehovas-Handbuch
8. Kleines Ideologien-Handbuch
9. Kleines Esoterik-Handbuch
10. Kleines Theologie-Handbuch

Weitere Handbücher (über Theologie, Esoterik, u.a.) sind geplant. Informationen bei www.l-gassmann.de